Backgrounder Talent Management

Gewinnung von Experten in engen, schwierigen Personalmärkten


Seit das Ausbildungsangebot immer breiter und die Selbstverwirklichungsstudiengänge populärer geworden sind, wird in den verschiedensten Branchen ein akuter Mangel an Ingenieuren festgestellt. Der Leidensdruck in den einzelnen Sektoren ist sehr unterschiedlich. Die Konjunkturzyklen in der Informatik unterscheiden sich von den Zyklen zum Beispiel der Bauindustrie. In Letztgenannter ist der Mangel an Ingenieuren zum Teil selbst verschuldet. Der Ingenieurberuf im Bauwesen war jahrelang durch wenig attraktive Gehälter gekennzeichnet. Die Baubranche hat sich zudem mit schweizerischen Normen gegenüber dem Ausland abgeschottet. Mit der Konsequenz, dass ausländische Ingenieure nicht infrage kamen, da sie nicht über die einschlägigen Kenntnisse verfügten.

Vor allem aus Deutschland konnte die Zuwanderung den Mangel an Fachkräften in vielen Branchen weitgehend beheben. Ausländer kommen primär nicht wegen attraktivieren Gehältern in die Schweiz, sondern schlicht, weil es hier überhaupt Stellen gibt und die Lebensqualität überdurchschnittlich hoch ist. Das früher oftmals vorgebrachte Argument der tieferen Steuern tritt mehr und mehr in den Hintergrund. Die stark steigende Staatsquote in der Schweiz hat die Steuer- und Gebührenbelastung für Führungskräfte in einem Masse angehoben, dass ein Vergleich mit dem Ausland nicht zwingend zugunsten der Schweiz ausfällt. Ausserdem beeinflussen die Zuwanderer die Gehälter der Schweizer Ingenieure. Ihre Löhne sind in den letzten zehn Jahren kaum mehr gestiegen.


Wie können Unternehmen im Hinblick auf bevorstehende Beschränkungen bei der Zuwanderung trotzdem ihren Bedarf an Ingenieuren abdecken?

Der zukünftige Rekrutierungserfolg im Ingenieurbereich wird von zwei wichtigen Einflussgrössen bestimmt: Talent Relationship Management sowie richtiger Darstellung des Stellenangebots und des Unternehmens. Die Rekrutierung ist und wird eine besondere Form des Verkaufs werden.


Talent Relationship Management

Die neuen elektronischen Medien (Social Media) bieten eine verlockende Möglichkeit, die früher nicht verfügbar war: Profile potenzieller Bewerber sind online, ein möglicher Bewerber kann direkt angesprochen, mit Informationen versorgt und dessen Karriereinteressen erfragt werden. Dieser Form der Direktansprache sind allerdings Grenzen gesetzt, denn der potenzielle Bewerber soll für ein Unternehmen motiviert und nicht zu einem Stellenwechsel überredet werden. Optimal ist ein positives Kontaktmanagement, das beim späteren Vorhandensein einer passenden Stelle zu einem erfolgversprechenden Kontakt führt. Der Aufwand für ein gut orchestriertes Talent Relationship Management ist jedoch sehr gross und erfordert eine enge Zusammenarbeit von Linie und HR. Der Ingenieur will einen Kontakt zu Fachkollegen und den Gesprächsaustausch auf fachlicher Ebene führen. Das Anbieten von Geschäftsberichten und Personalbulletins steht dabei weniger im Zentrum. Es interessieren vielmehr zum Beispiel Produkt- und Patentinformationen, Forschungsresultate oder beispielsweise auch Auszeichnungen von Hochschulen. Stark prosperierende Unternehmen haben die Möglichkeit, Talente auf Vorrat einzustellen; eine Praxis, die für viele Firmen in Märkten mit beschränkten Margen heute allerdings nicht mehr möglich ist.


Active Sourcing oder Online-Kampagnen?

Die Direktansprache zum Gewinnen von Führungspersönlichkeiten, Fachkräften oder Ingenieuren erfordert grosses Fachwissen und einwandfreies methodisches Vorgehen. Bewerber wollen nicht dauernd auf irgend- welche mögliche Positionen angesprochen und abgeklärt werden, sondern erwarten eine passende Offerte, die auf verfügbaren Informationen in den Social Media Datenbanken basiert. Die Arbeitsmotivation von Ingenieuren ist im Unterschied zu anderen Berufsgruppen besonders stark aufgabenorientiert. Die Loyalität zum Arbeitgeber ist ebenfalls überdurchschnittlich hoch. Direktansprache oder Guerilla-Personalmarketing kommt vielfach nicht gut an. Eine Online-Inseratekampagne mit dem im Talent Relationship-Umfeld des Unternehmens enthaltenen Zielpublikum ist bedeutend erfolgversprechender. Denn dann bewerben sich eigenmotivierte und an einem Stellenwechsel interessierte Bewerber mit Vorkenntnissen oder bereits mit einem konkreten Bezug zur suchenden Organisation.


Verkauf der Position

Ist eine Vakanz in engen Personalmärkten vorhanden, hat der Verkauf der Position und des Unternehmens eine bestimmende Wichtigkeit. Warum soll ein Talent für einen anderen Arbeitgeber arbeiten? Diese Frage wird oft unvollständig, mit Allgemeinplätzen oder gar nicht beantwortet. Vielfach ist zu beobachten, dass sich ein Unternehmen nicht um Talente bewirbt, sondern nur investigativ Lebensläufe prüft. Sie Selektion wird in den Vordergrund gestellt und das Potenzial nicht wirklich abklärt. In Segmenten, bei denen fast keine Bewerber verfügbar sind, ist die Auswahl nicht entscheidend. Der Grad der Profilerfüllung führt zusammen mit dem vorhandenen Potenzial zum Rekrutierungserfolg! In diesem Kontext haben selbst Bewerber über 45 Talente, die berücksichtigt werden müssen.


Faktor Zeit

Hat man endlich valable Bewerbungen aus dem Ingenieurumfeld erhalten, scheint die Warterei im Rekrutierungsprozess für Linie und HR gleichermassen vorüber zu sein. Oft schlägt das Pendel dann jedoch um, und abzuklärende Bewerber springen ab. Die einfachste Methode, die wenigen verfügbaren Bewerber für den Rekrutierungsprozess zu motivieren, ist ein geplanter Ablauf, der zügig und zuverlässig zu den nächsten Schritten führt. Anstehende Kundenbesuche, Quartalsabschlüsse und andere Businessprioritäten sind schlechte Entschuldigungen, wenn man weiss, dass die Motivation eines neuen Mitarbeiters bereits mit dem Erstkontakt beginnt. Gerade bei Ingenieuren kommt ein vorhersehbarer und zuverlässiger Rekrutierungsprozess gut an.


Wechselmotivation erzeugen

Verknüpft mit der Frage, warum ein Bewerber für ein anderes Unternehmen tätig werden soll, ist die Bestätigung und/oder die Verstärkung der Bewerbermotivation: Inhalte und Aufgaben der neuen Position müssen klar und überzeugend vermittelt werden. Der Rekrutierer muss diese Themen verstehen und darlegen können. Wie soll ein Ingenieur zum Beispiel eine potenzielle Verkaufsleiteraufgabe beurteilen können, wenn die Strategie der Firma in Bezug auf die zu bearbeitenden Märkte nicht präzise und überzeugend dargestellt werden kann? Auf der Ebene der Fachspezialisten sind Strategien weniger gefragt, umso mehr sind aber technologische Entwicklungen und der erwartete Beitrag des Bewerbers der Inhalt von Wechselmotivationen. Jeder Bewerber beurteilt Perspektiven und Chancen für sich selber; wozu er allerdings erst befähigt werden muss. Nicht nur der Ingenieur bewirbt sich, sondern eben auch die rekrutierende Unternehmung, der Vorgesetzte und das Team.


Rekrutierungsprozess positiv gestalten und erleben lassen

Selbst ein vorerst negativ verlaufender Bewerbungsprozess kann eine wichtige Aussage für einen Bewerber enthalten. Vielleicht kommt er später für eine optimal auf ihn zugeschnittene Aufgabe in Frage? Hier kann der Talent-Pool und das Talent Relationship Management direkt ansetzen und einen erstmals abgelehnten Bewerber wieder reaktivieren. Dies gelingt aber nur, wenn der Bewerber den Rekrutierungsprozess positiv erlebt hat und zwar bezüglich dem zeitlichen Ablauf, der fachkompetenten Gesprächspartner und der Beurteilungen. Selbst ein vormals abgelehnter Ingenieur wird später zustimmend auf motivierende Argumentation, Perspektiven und Nutzen eines Stellenwechsels reagieren.

Autor:
Theodor Klossner
theodor klossner associates

Dipl. EI.-Ing. FH, Studium der Nachrichtentechnik an der Ingenieurschule in Luzern und Weiterbildung an der HSG zum Eidg. dipl. Verkaufsleiter. Langjährige erfolgreiche Tätigkeit als Geschäftsführer, Unternehmens- und Laufbahnberater.

Literaturhinweis: Masterarbeit „Personalgewinnung von Ingenieuren in der Schweizer Industrie in Zeiten des
Fachkräftemangels“, August 2014, FHNW, Sandy Muchenberger

Checkliste

Checklist Bewerberinterviews


Erster Schritt nach der Begrüssung: Den Bewerber zum Eisbrechen motivieren.

  • Was wissen Sie über unser Unternehmen?
  • Was wissen Sie über die Stelle?
  • Warum sind Sie der richtige zukünftige Stelleninhaber? (Kurzes Statement)

Zweiter Schritt: Vorstellung der Unternehmung, der Position, des eigenen Werdegangs

  • Kurz zu meinem Werdegang
  • Was sind meine Ziele.
  • Wie führe ich
  • Wo sind die Schwerpunkte der nächsten 3 Jahre
  • Was sind meine Erwartungen an Sie
  • Warum macht mir meine Arbeit in unserem Unternehmen jeden Tag Freude
  • Was liegt mir an der zu besetzenden Stelle besonders am Herzen, warum ist sie wichtig

Dritter Schritt: Fragen an den Kandidaten

  • Was hat Sie motiviert, sich zu bewerben?
  • Welche Kernkompetenzen bringen Sie mit?
  • Bei welchen Aufgaben/Tätigkeiten laufen Sie zur Topform auf?
  • Wo setzen sie ihre Prioritäten, um in einer Aufgabe erfolgreich zu sein?
  • Ihr grösster bisheriger Berufserfolg?
  • Wo sehen Sie die persönlichen Herausforderungen in der neuen Aufgabe?

Vierter Schritt: Fragen des Kandidaten

Fünfter Schritt: Feedback

  • Wo bestehen noch Unklarheiten?
  • Was gefällt besonders?

Sechster Schritt: weiteres Vorgehen

  • Wer macht den nächsten Schritt?
  • Was ist der nächste Schritt?
  • Bis wann und durch wen wird kommuniziert?

Eine Stunde genügt, um die Frage zu beantworten: Lohnt sich ein Fortsetzen der Gespräche?